CoJack - statische Online-Überwachung von Rohrvortrieben

14.07.2005

Beim Rohrvortriebsverfahren müssen die von den Pressstationen aufgebrachten Vortriebskräfte über druckkraftschlüssige Rohrverbindungen von Rohr zu Rohr übertragen werden. Um auch bei Abwinkelungen eine ausreichend große Druckübertragungsfläche zu gewährleisten, werden Druckübertragungsringe meist aus Holz oder Holzwerkstoffen eingelegt. Ihre lastverteilende Wirkung geht allerdings infolge der großen plastischen Verformungsanteile während des Vortriebes nach und nach verloren, wodurch die Rohrbeanspruchung stetig anwächst. Dieses Phänomen der Verhärtung ist zwar seit einigen Jahren bekannt, wird aber in der statischen Berechnung mangels geeigneter Berechnungsgrundlagen lediglich durch eine pauschale Erhöhung des  E-Moduls erfasst, die insbesondere bei langen Vortrieben keine ausreichende Sicherheit mehr gewährleistet. Mit dem von der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH entwickelten Simulationsprogramm CoJack ist es nun erstmals möglich, die tatsächliche Beanspruchung von Vortriebsrohren mit ausreichender Genauigkeit zu berechnen.

Statische Problemstellung

Die zentrale Problematik bei der Übertragung der Vortriebskräfte von Rohr zu Rohr besteht darin, dass sich der Rohrstrang insbesondere in engen Kurven nicht kontinuierlich krümmt, sondern die verhältnismäßig steifen Rohre aus Stahlbeton gerade bleiben und in den Fugen entsprechende Abwinkelungen entstehen. Dabei entsteht eine so genannte klaffende Fuge. Die Druckübertragungsfläche verkleinert sich, wodurch die Kontaktdruckspannungen zwangsläufig ansteigen. Dieser unerwünschte Effekt wird in der Regel durch die Verwendung von Druckübertragungsringen aus Holz oder Holzprodukten gemildert, die sich unter Last infolge ihrer geringeren Steifigkeit beidseitig an die Rohrspiegel anlegen, den Kontaktbereich vergrößern und somit spannungsreduzierend wirken [...].             
Allerdings wird infolge der großen Kräfte der Werkstoff Holz weit über seine Elastizitätsgrenze hinaus beansprucht. Es entstehen somit nicht nur elastische, sondern auch in einem weitaus größeren Ausmaß plastische Stauchungen, die nicht reversibel sind und somit auch nach einer Entlastung bestehen bleiben. Im Laufe einer Vortriebsmaßnahme wird jeder Druckübertragungsring vielfach be- und entlastet, wobei sich zudem ständig die Abwinkelung ändert. Er verliert zunehmend seine lastverteilende Wirkung und "verhärtet".
Gemäß dem heutigen Stand der Technik wird dennoch bei der Planung einer Vortriebsmaßnahme im Rahmen der statischen Nachweise in Ermangelung eines geeigneten Berechnungsverfahrens für den Druckübertragungsring in der Regel ein konstanter Elastizitätsmodul verwendet, der wegen der zwangsläufig großen Ungenauigkeit weit auf der sicheren Seite gewählt werden muss.
Die statische Berechnung der Vortriebsrohre stellt derzeit lediglich eine "Momentaufnahme" des Vortriebes dar, wobei eine bestimmte Abwinkelung der Rohre, eine Vortriebskraft und insbesondere auch nur eine Steifigkeit des Druckübertragungsringes in Form des E-Moduls in die Berechnung eingeht. Das zeit- und beanspruchungsabhängige, hochgradig nichtlineare Werkstoffverhalten des Druckübertragungsringes bleibt dabei vollkommen unberücksichtigt. Folglich bleibt während des gesamten Vortriebes die tatsächliche Beanspruchung des Rohrbetons und damit das jeweils aktuelle Sicherheitsniveau vollkommen unbekannt.
Die Folge sind entweder recht kurz bemessene Vortriebsabschnitte, welche die Baumaßnahme unnötig verteuern, oder ein erhöhtes Risiko bezüglich einer Überbeanspruchung der Rohre. Trotz der in den Normen- und Regelwerken vorgeschriebenen kontinuierlichen Erfassung und Aufzeichnung der wichtigsten Vortriebsparameter kann eine baubegleitende Aktualisierung der statischen Berechnung mit einer Korrektur der zulässigen Vortriebskraft (erhöhend oder verringernd) unter Berücksichtigung der spezifischen Eigenschaften des Druckübertragungsringes bisher nicht durchgeführt werden.
Die geschilderte Problematik stellt häufig die Hauptursache für bei Rohrvortrieben auftretende Schäden bzw. Zerstörungen dar, wie insbesondere Abplatzungen an den äußeren Rohrstirnflächen, die vielfach von innen nicht sichtbar sind und bei der Bauabnahme unerkannt bleiben (s. Bild 2).
Eine genauere statische Berechnung der Rohrbeanspruchung unter Berücksichtigung des nichtlinearen Steifigkeitsverhaltens des Druckübertragungsringes ist zur Gewährleistung eines ausreichend hohen Sicherheitsniveaus bei gleichzeitiger Respektierung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit unbedingt erforderlich. Erste wissenschaftliche Ansätze einer baubegleitenden Aktualisierung der Berechnungsannahmen anhand der von der Baustelle gelieferten Messwerte über die Methode der Finiten Elemente sind in [3] dokumentiert.
Das mathematische Simulationsprogramm CoJack

Mit dem neuen, von der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH entwickelten mathematischen Simulationsprogramm CoJack steht nun ein praxisgerechtes und leistungsfähiges Instrument zur Erhöhung der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit von Rohrvortrieben zur Verfügung. Es berücksichtigt u.a. die nachfolgenden Eingangsparameter, die einen hohen Einfluss auf die Rohrbeanspruchung haben, in den bisherigen Berechnungsverfahren aber vernachlässigt werden:
  • nichtlineares Steifigkeitsverhalten des Druckübertragungsringes unter Trennung des elastischen und des plastischen Verformungsanteiles,
  • Beanspruchungsgeschichte des Druckübertragungsringes zu jedem betrachteten Zeitpunkt,
  • Veränderung der Steifigkeit und der Geometrie des Druckübertragungsringes im Vortriebsverlauf,
  • zeitliche Entwicklung der Längskraft und
  • zeitliche Abfolge der durchfahrenen Trassengeometrie.
Die Berechnung der statischen Sicherheit des Vortriebs erfolgt im wesentlichen über die Kontaktspannung in den Rohrverbindungen, die sich im Vortriebsverlauf ständig hinsichtlich Größe und Verteilung verändert. Sie berechnet sich an jeder Rohrverbindung und in jeder Vortriebsposition aus der vorhandenen Abwinklung der Rohre zueinander, der anliegenden Vortriebskraft und dem Zustand und den Eigenschaften des Druckübertragungsrings, der durch die wechselnden Belastungen im Laufe des Vortriebs mehr oder weniger nichtlinear verhärtet ist.
Ergebnisse der Simulation sind neben den Kontaktdruckspannungen, der Verformung und Restdicke des Druckübertragungsringes insbesondere das vorhandene Sicherheitsniveau in Bezug auf die Betondruckspannung, die Teilflächenbelastung des Rohrspitzendes und die Spaltzugspannungen im Lasteinleitungsbereich. Auf Basis dieser Sicherheitswerte lassen sich vortriebsbegleitend Aussagen zu den vorhandenen statischen Reserven der Vortriebsrohre machen und es ist möglich, rechtzeitig Maßnahmen einzuleiten, die die Belastung der Rohre bei Erfordernis (z.B. durch die Aktivierung einer Zwischenpressstation) verringern.
Datenaustausch

Die von CoJack benötigten Eingangsdaten beschränken sich auf diejenigen Messwerte, die bei jedem Vortrieb ohnehin dokumentiert werden müssen. Die Pressenkräfte der Haupt- und
Zwischenpressstationen sowie die jeweils aktuelle geometrische Vermessung des Rohrstranges werden allerdings nicht lediglich auf der Baustelle archiviert, sondern per Email oder Internet an das Ingenieurbüro geschickt. Dort werden die Daten auf Plausibilität untersucht und als Eingangswerte für die Simulation mit CoJack verwendet. Die Berechnungsergbnisse werden im Ingenieurbüro interpretiert und bei Bedarf in Form von Anweisungen an die  Bauausführung an die Baustelle übermittelt. Damit ist eine kontinuierliche Überprüfung und Aktualisierung der Rohrstatik gewährleistet (Bild 5).
Einsatzbereich

Durch seine modulare Strukturierung ist CoJack nicht nur ein Instrument der Tragwerksplanung, sondern auch der Bauüberwachung und der Bauabnahme.


  • Im Rahmen der Planung dient es der Überprüfung der statischen Berechnung und der Bestimmung des Sicherheitsniveaus unter den dort getroffenen Voraussetzungen (Plandaten).
  • Im Rahmen der Bauüberwachung werden die bei der Planung angesetzten Vortriebsdaten nach und nach durch auf der Baustelle ermittelte Messwerte (Vortriebskräfte, geometrische Vermesssung) ersetzt. Dadurch lässt sich einerseits für die bereits zurückgelegte Vortriebsstrecke das erreichte Sicherheitsniveau bestimmen und andererseits die Voraussagen für die noch aufzufahrende Reststrecke verbessern und somit die Planung in Abhängigkeit vom jeweiligen Informationsstand aktualisieren. Insbesondere bei unerwarteten  Vortriebssituationen (z.B. Fehlsteuerung) lassen sich zeitnah Szenarien für die Reststrecke entwickeln und die Risiken bestimmen.
  • Im Rahmen der Abnahme des Bauwerks kann der gesamte Vortrieb anhand der Messdaten rechnerisch nachgefahren werden und zu jedem Zeitpunkt das zutreffende Sicherheitsniveau bestimmt werden. Gegebenenfalls können einzelne überbeanspruchte Rohre benannt werden, um dort weitergehende Untersuchungen auf Schäden einzuleiten.
Ergebnisse

Ein typisches Ergebnis der Simulation ist im Bild 6 dargestellt. Das obere Diagramm zeigt zur Orientierung den Trassenverlauf in Form des Krümmungsbandes über die gesamte Vortriebsstrecke. Das untere  Diagramm dokumentiert für eine konstant angenommene Vortriebskraft das Sicherheitsniveau bezüglich der Rohrbeanspruchung für Einwirkungen in Richtung der Rohrachse. Deutlich zeigt sich der erhebliche Einfluss der zunehmenden Verhärtung des Druckübertragungsringes. Mit jeder Versteuerung sinkt das Sicherheitsniveau, das zu Beginn der ersten Kurve noch über zwei liegt und am Ende der zweiten Kurve bei gleicher Vortriebskraft und gleicher Abwinkelung bis auf 1,3 absinkt. Das Phänomen der Verhärtung des Druckübertragungsringes birgt somit erhebliche Gefahren hinsichtlich einer Überbeanspruchung der Rohrbetons insbesondere
  • bei langen Vortrieben,
  • bei mehreren planmäßigen Krümmungswechseln,
  • bei häufigen Versteuerungen und
  • bei einem durchgehend hohen Vortriebskraftniveau.
Das Maß der Verhärtung des Druckübertragungsringes ist mit den heutigen Mess-, Dokumentations- und Auswertungsverfahren nur schwer zu erkennen. Selbst die ersten Schäden an den Rohren bleiben meist unerkannt, da die zunächst auftretenden Abplatzungen an der Rohraußenseite von innen nicht sichtbar sind. Deshalb sind für die sichere Durchführung schwieriger Vortriebsmaßnahmen rechnerische Simulationen mit CoJack im Rahmen der Planung, Bauüberwachung und Bauabnahme unerlässlich.
Zusammenfassung

Mit dem von der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH entwickelten Simulationsprogramm CoJack ist es erstmals möglich, die tatsächliche Beanspruchung von Vortriebsrohren in der Bauphase selbst bei langen und kurvenreichen Strecken mit hoher Genauigkeit zu berechnen.
Die sequentielle Simulation des Vortriebs erfolgt in beliebig vielen Zeitschritten und berücksichtigt u.a. die zeitliche Entwicklung der Längskraft und die zeitliche Abfolge der durchfahrenen Trassengeometrie. Mit der Erfassung des nichtlinearen und von der jeweiligen Belastungsgeschichte abhängigen Steifigkeitsverhaltens des Druckübertragungsringes ist es über die Archivierung des Spannungsverlaufs in den Rohrfugen sogar möglich, die vom Vortriebsverlauf abhängige Verhärtung der Druckübertragungsringe realitätsnah zu erfassen.

So ergeben sich in jeder Phase wesentliche Verbesserungen gegenüber den bisher angewandten statischen Berechnungsverfahren für Rohrvortriebe:
  • Bestimmung des Sicherheitsniveaus zu jedem Zeitpunkt,
  • Bestimmung der Kraftreserven zu jedem Zeitpunkt,
  • detaillierte Vorgaben für die Bauausführung mit vortriebsbegleitender Aktualisierung,
  • kontrollierter Einsatz erhöhter Vortriebskräfte im Bedarfsfall,
  • verbesserte Dokumentation und Qualitätskontrolle.
Damit gewährleistet das Simulationsverfahren selbst bei schwierigen Vortriebsmaßnahmen ein Höchstmaß an Sicherheit und Wirtschaftlichkeit.

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