Einsatz von hydraulisch gebundenen Verfüllbaustoffen zur Rückverfüllung von Leitungsgräben im Kanalbau
23.02.2005
Seit einigen Jahren werden mit wachsendem Marktanteil in Deutschland selbstverdichtende, im Einbauzustand fließfähige und anschließend erhärtende Verfüllmaterialien (Baustoff- bzw. Boden-Bindemittel-Gemische) eingesetzt. Sie werden herstellerabhängig oder in der Literatur auch als Flüssigboden, Boden-/Verfüllmörtel oder stabilisierte Sandmischung bezeichnet und dienen im Kanalbau vornehmlich zur Verfüllung der Leitungszone, teilweise aber auch zur Herstellung der Hauptverfüllung. Im vorliegenden Beitrag werden der aktuelle Stand der Diskussionen in der Fachwelt, insbesondere in Planungsbüros, bei Kommunen und Leitungsnetzbetreibern vorgestellt sowie über die Vor- und Nachteile bei der Anwendung von hydraulisch gebundenen Verfüllbaustoffen aus bauverfahrenstechnischer und statischer Sicht berichtet.
Die Verwendung von hydraulisch gebundenen Verfüllbaustoffen für in offener Bauweise verlegte Abwasserleitungen und kanäle ist in DIN EN 1610 [5] bzw. ATV-DVWK-A 139 [6] nicht explizit beschrieben. Diese Normen- und Regelwerke behandeln lediglich die konventionelle Grabenverfüllung mit körnigen, ungebundenen Baustoffen. Aus diesem Grund sind bei der Anwendung von hydraulisch gebundenen Verfüllbaustoffen spezielle bauverfahrenstechnische und statische Aspekte zu beachten.
Hydraulisch gebunde Verfüllbaustoffe bestehen prinzipiell aus den Grundmaterialien [7, 8]:
- Ausgangsbaustoff, z.B. angelieferte Zuschlagstoffe oder (Recycling-)Materialien (etwa 95%) oder örtlich anstehender Boden (z.B. Grabenaushub)
- Plastifikator, z.B. Mischung aus Wasser mit quellfähigen Tonen (Bentonit), Schaumbildnern, luftporenbildenden Zusatzmitteln (Tenside) oder anderen mineralischen, pflanzlichen und/oder anorganischen Zusätzen
- Stabilisator (Bindemittel), z.B. Zement oder Kalk (zusammen mit Plastifikator ca. 5 %).
Der eingebrachte Verfüllbaustoff verfestigt sich dauerhaft nach dem Einbau bis zur Erreichung der notwendigen Druckfestigkeit und Tragfähigkeit nur so weit, dass er im Bedarfsfall wieder gelöst werden kann. Der erhärtete Verfüllbaustoff ist (gering) wasserdurchlässig und entspricht nach Verfestigung der Bodenklasse 3 bis 4 ("leicht bis mittelschwer lösbare Bodenarten") nach DIN 18300 [11], so dass die Leitungen jederzeit von Hand unter Verwendung von Hilfswerkzeugen bzw. maschinell (z.B. Hydraulikbagger o.ä.) wieder freigelegt werden können.
Nach Aushub und Sicherung des Grabens wird der Rohrstrang auf der Grabensohle auf Holzbohlen oder Sandsäcken (letztgenannte sind nach [14] aus statischen Gründen vorzuziehen) entsprechend den Planungsvorgaben ausgerichtet und fixiert (Bild 2a). Vor dem Einbringen des hydraulisch gebundenen Verfüllbaustoffes mit flüssiger Konsistenz, der im Transportbeton-Mischfahrzeug (Fahrmischer) auf die Baustelle angeliefert wird, müssen zur Auftriebs- und Lagesicherung sogenannte Haltungs- oder Belastungsbänke aus dem gleichen Verfüllbaustoff in steifer Konsistenz gesetzt werden (Bild 2b bzw. Bild 3a). Diese werden direkt aus dem Betonmischer über die Betonrutsche oder über Schüttrohre bzw. einen Schlauch, in Ausnahmefällen auch über eine Pumpe, gezielt in Abständen von etwa 2,00 bis 2,50 m zur Ballastierung vorzugsweise auf die Rohrverbindungen aufgebracht.
Bild 2a-c: Arbeitsablauf bei der Rückverfüllung der Leitungszone mit hydraulisch gebundenem Verfüllbaustoff (Quelle: S&P GmbH)
Bild 3a-b: Einbringen des flüssigen Verfüllbaustoffes mittels Fahrmischer und Betonrutsche in einen Rohrgraben (Fotos: S&P GmbH)
Grundlage für die statische Berechnung von in offener Bauweise verlegten Rohren bildet das Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 127 [13], mit dem Rohre verschiedener Steifigkeiten, Überschüttungs- und Einbettungsbedingungen unter den üblichen Einwirkungen berechnet und bemessen werden können. Das darin dokumentierte Berechnungsverfahren geht von einem Sand-Kies- oder von einem Betonauflager für das Rohr aus und setzt voraus, dass der Graben mit verdichtungsfähigem Boden bzw. nach DIN EN 1610 [5] zugelassenen Bodenarten lagenweise verfüllt und verdichtet wird. Die Verwendung hydraulisch gebundener Verfüllbaustoffe als Verfüllmaterialien in der Leitungszone ist dabei nicht vorgesehen und berücksichtigt.
Bild 4a-c: Einwirkungen nach Verfüllen des Leitungsgrabens mit hydraulisch gebundenem Verfüllbaustoff (erhärteter Zustand) am Beispiel eines Betonrohres DN/ID 600, 2 m Überdeckungshöhe (Quelle: S&P GmbH)
Mit den durchgeführten Parametervariationen und dem Vergleich der Ergebnisse aus den numerischen und analytischen Berechnungen konnte nachgewiesen werden, dass bei der Verwendung von hydraulisch gebundenen Verfüllbaustoffen zur Rückverfüllung von Leitungsgräben die statische Berechnung grundsätzlich auf der sicheren Seite nach ATV-DVWK-A 127 [13] durchgeführt werden kann und somit höhere Sicherheiten und Kosteneinsparpotenziale erzielt werden können. Dabei müssen zunächst die Steifigkeits- und Festigkeitswerte für die Überschüttung über dem Rohrscheitel und für die Leitungszone seitlich des Rohres (E2) auf Basis mechanischer Eignungsprüfungen vom jeweiligen Hersteller erprobt und nachgewiesen werden. Danach können über sinnvolle Parametervariationen und Sensitivitätsanalysen Eingangswerte für die Berechnung nach ATV-DVWK-A 127 [13] bestimmt und die Einsatzgrenzen festgelegt werden.
Fazit
Zusammenfassend kann festgestellt werden, das hydraulisch gebundene Verfüllbaustoffe eine interessante Alternative zur konventionellen Rückverfüllung von Leitungsgräben mit körnigen, ungebundenen Verfüllbaustoffen darstellen. Mit ihrer Anwendung könnten z.B. die folgenden Vorteile verbunden sein:
- Vermeidung typischer Verlegefehler/Schadensursachen, die bei konventioneller Verlegung auftreten können (z.B. unzureichende Zwickelverfüllung und verdichtung, Punktauflagerung der Rohrleitung, zu hohe Verdichtungsauflasten, Verwendung von nicht fachgerechten Baustoffen etc.
- Reduzierung der Grabenbreiten nach DIN 4124 [15] bzw. DIN EN 1610 [5] unter der Voraussetzung, dass die Rohre durch Vor-Kopf-Arbeit verlegt werden können, so dass Personal den Raum zwischen Rohrleitung und Grabenwand nicht zwingend betreten muss (Zustimmung der TBG erforderlich)
- Verbesserte Bettungsbedingungen für die Rohrleitung
- Verkürzung der Bauzeit durch Änderung der Bauabläufe und Taktzeiten
- Vermeidung von Oberflächensetzungen (insbesondere im Bereich der sonst üblichen Verbauspur)
- Vermeidung von Erschütterungen, Verzicht auf Vibrationsenergie für mechanische Verdichtung, Reduzierung von Lärm- und Schwingungsemissionen
- Verlängerung der Nutzungsdauer der Rohrleitung (Verminderung von Ex-/ Infiltrationen durch eine gewisse Redundanz (die verfestigten Bodenkörper besitzen in der Regel eine geringe Wasserdurchlässigkeit, herstellerbedingt zwischen 10 -6 bis 10-8 m/s), Verhinderung von Wurzeleinwuchs, definierte Bettungsbedingungen durch Vermeidung typischer Verlegefehler/Schadensursachen (s.o.))
- Dauerhaftigkeit bzw. Langzeitverhalten
- Anforderungen an den Verfüllbaustoff
- Auswirkungen auf die im hydraulisch verfestigten Baustoffkörper eingebettete (Rohr-)Leitung bei wechselnden Frost-/Tauverhältnissen
- Entfernbarkeit auf Dauer bzw. Wiederaufgrabung mit einfachem Gerät (sogenannte "Spatenlösbarkeit").
[1] Berger, W., Krausewald, J., van Heyden, L.: Boden-Mörtel ? Anwendungsfragen und Wirtschaftlichkeit für den Tiefbau der Gasverteilung. gwf Gas × Erdgas 140 (1999), H. 8, S. 513?518.
[2] Just, A.: Einsatz von Flüssigboden in Braunschweig. bi-umweltbau (2003), H. 1, S. 42?44.
[3] ONR/FW 110A: Fernwärmeversorgung ? Stabilisierte Rohrgrabenverfüllmaterialien. Technische Spezifikation für stabilisierte Rohrgraben-Verfüllmaterialien ? SVM für den Einbau von Fernwärme-Kunststoffmantelrohren ? KMR. Ausgabedatum: 01. April 1999.
[4] Kiesselbach, G: Projektstudie über die Verfüllung von Künetten. Im Auftrag des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 22 ? Umweltschutz in Zusammenarbeit mit ÖkoKaufWien ? Arbeitsgruppe Tiefbau. Wien, 1999.
[5] DIN EN 1610: Verlegung und Prüfung von Abwasserleitungen und ?kanälen (10.1997)
DIN EN 1610 Beiblatt 1: Verlegung und Prüfung von Abwasserleitungen und kanälen ? Verzeichnis einschlägiger Normen und Richtlinien (Stand vom Februar 1997).
[6] Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 139: Einbau und Prüfung von Abwasserleitungen und ?kanälen (01.2002) (Hrsg.: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. ? ATV-DVWK, Hennef).
[7] Arbeitsblatt FW 401 Teil 12: Verlegung und Statik von Kunststoffmantelrohren (KMR) für Fernwärmenetze ? Bau und Montage; Organisation der Bauabwicklung, Tiefbau (02.1999).
[9] Kronenberger, E. J.: Bodenrecycling im Rohrleitungs- und Kanalbau ? Wiedereinbau in trockener und flüssiger Form möglich. bi umweltbau (2002), H. 2, S. 44?46.
[10] Stein, D.: Instandhaltung von Kanalisationen. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Verlag Ernst & Sohn, Berlin 1998.
[11] DIN 18300: VOB Verdingungsordnung für Bauleistungen ? Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV); Erdarbeiten (12.2000)
[12] Stein, D., Möllers, K.: Grabenverbau ? Einflussfaktor auf das Ingenieurbauwerk Rohrleitung. Tiefbau (1988), H. 3.
[13] Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 127: Statische Berechnung von Abwasserkanälen und ?leitungen (08.2000).
[14] Statisches Berechnungskonzept der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum (www.stein.de).
[15] DIN 4124: Baugruben und Gräben ? Böschungen, Verbau, Arbeitsraumbreiten (10.2002).
[16] CETE Normandie Mitte (CETE = Studienzentrum für Vernetzungen, Transport, Stadtplanung und öffentliche Bauten) (Hrsg.): Verfüllung von Gräben ? Verwendung von selbstverdichtenden Materialien. 3. Ausgabe, März 1999. Wissensstand vom 31. Dezember 1997 (deutsche Übersetzung).
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