Langrohr-Relining in Magdeburg
28.08.2019
Erneuerung der 120 Jahre alten Grauguss-Trinkwasser-Hauptleitung DN 700 in der Halberstädter Straße
Die Stadt Magdeburg kann auf eine wahrlich vielschichtige Chronik zurückblicken: Ihre Anfänge liegen in den Jahren 805 bis 965, als der erste deutsche Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Otto der Große, gekrönt wird und Magdeburg zu seiner Lieblingspfalz erklärt; der gotische Dom ist seine letzte Ruhestätte. Von der einstigen Bischofsstadt, über Hansestadt, Zentrum der Reformation und Beinahe-Vernichtung im Dreißigjährigen Krieg wurde Magdeburg Anfang des 18. Jahrhunderts zur stärksten Festung Preußens ausgebaut. Nach der fast völligen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg avancierte Magdeburg schnell zur DDR-Bezirksstadt und ist seit 1990 mit rund 240.000 Einwohnern die Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt.
Magdeburg wird mit Trinkwasser aus der idyllischen Colbitz-Letzlinger Heide (30 km nördlich der Stadt) versorgt. Sie ist nicht nur das größte zusammenhängende Heidegebiet Mitteleuropas, sondern auch das größte unbewohnte Gebiet Deutschlands. Unter dieser unberührten Natur befinden sich ausgedehnte Grundwasservorkommen, aus denen das exzellente Magdeburger Trinkwasser stammt.
Sanierung mit Augenmaß
Planung, Bau und Betrieb des 1.235 km langen Trinkwassernetzes (820 km Hauptwasser- und Versorgungsleitungen sowie 415 km Hausanschlussleitungen) unterliegen der SWM Städtische Werke Magdeburg GmbH & Co. KG. Daneben betreibt die SWM die Sparten Strom, Erdgas, Wärme und Abwasser für die Landeshauptstadt.
Knapp die Hälfte der Trinkwasser-Haupt- und Versorgungsleitungen Magdeburgs besteht aus Gussrohren und ist zum großen Teil seit mehr als hundert Jahren in Betrieb. Der stetig andauernde Alterungsprozess führt besonders bei sehr alten Leitungsabschnitten zu Schadensbildern, v. a. Korrosion, die eine Erneuerung oder Sanierung notwendigerweise erfordern. Diesen Sanierungs- und/oder Erneuerungsmaßnahmen – vornehmlich der wichtigen, großen Hauptwasserleitungen – geht die SWM verantwortungsvoll sukzessive und entsprechend der Finanzlage nach.
Im Kontext dieser Instandhaltungsmaßnahmen begannen die SWM im Sommer 2018 auf einem rund 1.000 m langen Abschnitt mit der Sanierung der Trinkwasser- Hauptleitung in der Halberstädter Straße zwischen Wiener Straße und Kroatenweg.
Alte Leitung in modernem Umfeld
Zu dieser zu sanierenden Bestandsrohrleitung gehören folgende Eckdaten:
Baujahr: | 1897 und seitdem in Betrieb |
---|---|
Material: | Grauguss (GG) |
Nennweite: | DN 700 |
Druckstufe: | PN 10 |
Zustand: | Altersschäden infolge Spongiose und zunehmenden Inkrustationen |
Lage: | unter dem Gehweg |
Tiefenlage: |
im Durchschnitt in ca. 2m |
Die Halberstädter Straße ist eine große Nordost-Südwest verlaufende, viel befahrene Ausfallstraße mit Straßenbahngleisen, zwei bis vier Fahrstreifen, Busverkehr, Radwegen sowie breiten Gehwegen, die von Geschäften, Cafés und Restaurants flankiert werden. Ebenso befindet sich ein umfangreicher alter Baumbestand im unmittelbaren Bereich der zu sanierenden Trinkwasserleitung. So galt es, verkehrs- und umwelttechnische Belange sowie Behinderungen/Einschnitte für Geschäfte und Bewohner zu berücksichtigen und auf ein Minimum zu reduzieren.
Im Rahmen der Genehmigungsplanung gab es umfangreiche Abstimmungen mit den Behörden der Stadt Magdeburg (u. a. Sperrkommission, Tiefbauamt) sowie dem Eigenbetrieb Stadtgarten und Friedhöfe zu den Belangen des Baumschutzes. Auch zahlreiche Vor-Ort-Gespräche mit den ansässigen Gewerbebetrieben sowohl im Vorfeld als auch während der Baumaßnahme durch das ausführende Unternehmen führten dazu, dass ein weitgehend problemloses Arbeiten möglich war.
Entscheidung fürs Bewährte
Die im Jahr zuvor erfolgte Planung durch die SWM wurde u. a. mit der Stadt Magdeburg, vorhandenen Leitungsträgern und den MVB (Magdeburger Verkehrsbetriebe) abgestimmt. Sie sah – wie bereits in abgeschlossenen Sanierungsprojekten ebenfalls berücksichtigt und ausgeführt – infolge des jahrelang rückläufigen bzw. stagnierenden Wasserverbrauchs eine Reduzierung des Leitungsquerschnitts von DN 700 auf DN 400 vor. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre, in denen kontinuierliche Sanierungsmaßnahmen an alten Graugussrohrleitungen in der Stadt ausgeführt wurden, präsentierte sich auch hier die Bestandsleitung nach erfolgter Reinigung und Kamerabefahrung zwar als geschädigt (Inkrustationen, Rohrbruch gefährdet), aber auch nach 120 Jahren Betrieb in einem dennoch passablen Erhaltungszustand.
Es war somit naheliegend, hinsichtlich dieser Rahmenbedingungen, der Beschaffenheit des Bau- Umfeldes sowie der entsprechenden ökonomischen und ökologischen Betrachtung, vorwiegend in geschlossener Bauweise zu sanieren. Punktuell war aber, in Abhängigkeit von den Randbedingungen, auch ein Einbau in offener Bauweise, v. a. zur Einbindung von Löschwasserhydranten, Abzweigen, Anschlüssen und Armaturengruppen in die Leitung, vorzusehen. Hier wurde eine Reduzierung der Mindestrohrüberdeckung von ca. 2 m auf 1,20 m vorgegeben.
So wählten die SWM schließlich für 915 m der insgesamt rund 1.000 m Graugussrohrleitung DN 700 das Langrohr-Relining- Verfahren (nach DVGW-Arbeitsblatt GW 320-1) mit
- duktilen Gussrohren DN 400, Standard-Baulänge 6 m
- Wanddickenklasse K 9
- Druckstufe PN 10
- form- und längskraftschlüssigen Steckmuffen-Verbindungen Typ BLS®
- Zementmörtel-Auskleidung (ZM-A) sowie
- einem Zink-Aluminium-Überzug (400 g/m2) mit Deckbeschichtung aus blauem Epoxidharz (EN 545)
Für Letzteres entschied man sich aus mehreren Gründen: Zur Verstärkung der galvanischen Schutzwirkung wird dem Zink durch Legierung ein 15 %-iger Anteil Aluminium beigefügt. Hierdurch und durch die Erhöhung der Gesamtmasse an Zink gegenüber dem Standard-Zink-Überzug (200 g/m2) ergibt sich eine zusätzliche Steigerung der zu erwartenden technischen Nutzungsdauer. Ebenso benötigen die Rohre diese Umhüllung, wenn der Ringraum zwischen Alt- und Neurohr verdämmt wird.
Für die Sanierung kleinerer Teilabschnitte wurden Rohre in unterschiedlichen Werkstoffen und Dimensionierungen eingesetzt.
Bauablauf: präzise, sicher und effektiv
Im Frühjahr 2018 startete nach rund einem Jahr Planung das örtlich und zeitlich in zwei Bauabschnitten (BA) zu realisierende Sanierungsvorhaben:
- BA: Halberstädter Straße von der Wiener Straße bis Ambrosiusplatz und
- BA: Halberstädter Straße vom Ambrosiusplatz bis Kroatenweg
Die Baugruben
Aufgrund des Verlaufs der Bestandsleitung, der darin eingebauten Armaturen sowie durch Änderungen der Einzugsabschnitte (geplant waren Einzugslängen von bis zu ca. 300 m) wurden im Gehwegsbereich der Halberstädter Straße im Abstand von 150 bis 280 m Baugruben (Einbaugruben, Ziehgruben) errichtet. Die Baugruben waren ca. 2,5 m breit, 8,5 m lang und in Abhängigkeit von der Tiefenlage der Bestandsleitung durchschnittlich 2,0 bis 2,5 m tief. Für den Rohreinzug wurde eine Grundoburst 800 G-Berstanlage der Tracto-Technik GmbH & Co. KG eingesetzt, die hydraulisch arbeitet und für das statische Berstlining-Verfahren entwickelt wurde. Mit dem Gerät können Zugkräfte von bis zu 80 t erreicht werden.
Der Rohreinzug
Die alte Graugussrohrleitung DN 700 wurde zunächst mechanisch gereinigt und anschließend mit einer Kamera befahren. Die neuen 6 m langen Rohre DN 400 aus duktilem Gusseisen (GGG) wurden von einem eingespielten Team der Ludwig Pfeiffer GmbH & Co. KG auf Grundlage der Verarbeitungs- und Einbauhinweise zum Langrohr-Relining im Zugverfahren eingezogen. Die neuen Rohre wurden jeweils in der Baugrube ausgerichtet und die BLS®-Steckmuffen-Verbindungen einschließlich ihres Schutzes durch einen Stahlblechkegelmantel hergestellt. Mit der Berstanlage wurde dann der Rohrstrang, auf dem Blechkonus schleifend, um jeweils 6 m in die Altrohrleitung eingezogen.
Hinsichtlich der für den Rohreinzug zu erwartenden Zugkräfte definierte die SWM ganz deutlich die Anforderungen. Auf Grundlage von Erfahrungen schätzten ihre Fachleute im Vorfeld die Zugkräfte bei einem hindernisfreien Einzug auf mindestens 6 t (60 kN) ein. Mit einem Risikozuschlag von 4 t (40 kN) wurde mit Einzugskräften von ca. 10 t (100 kN) geplant. In der Ausführung wurden dann Zugkräfte von bis zu 7 t (70 kN) ermittelt.
Die effektive Einzugsgeschwindigkeit hängt von mehreren Faktoren ab: Zu nennen sind das Einrichten der Berstanlage, der Einbau des Gestänges, die Montage und Demontage des Zugkopfes, die Montagezeiten für den Einbau der Rohre sowie die Geschwindigkeit beim Einzug der Rohre. Vor diesem Hintergrund ist klar erkennbar, dass der Zeitansatz für lange Einzugsstrecken günstiger ist als für kurze Strecken.
Um eine ungefähre Vorstellung für die effektive Einzugsgeschwindigkeit zu bekommen, kann beispielhaft ein Abschnitt mit einer Einzugslänge von 200 m, ohne Rohrreinigung, betrachtet werden. Für den Ein- und Ausbau der Berstanlage, die Montage und Demontage des Zugkopfes, den Gestängeeinbau sowie den Rohreinzug wurden knapp 4 Tage benötigt und das bei Arbeitszeiten zwischen 5 und 12 h pro Tag.
Die Abschlussarbeiten
Der zwischen Altrohr und Neurohr verbliebene Ringraum wurde mit einem alkalischen Dämmer verfüllt, der nach Anforderung der SWM eine Schrumpfung/Wasserentmischung nach Abbindung von weniger als 1 Vol.-% und eine Druckfestigkeit von mindestens 1,0 N/mm2 nach 28 Tagen aufweisen musste.
Im letzten Arbeitsschritt erfolgte die Druckprüfung der neuen Rohrleitung im beschleunigten Normalverfahren nach DVGW-Arbeitsblatt W 400-2 mit einem Prüfdruck von 15 bar und einer Prüfzeit von einer Stunde sowie die anschließende Desinfektion der Leitung.
Aspekte der Nachhaltigkeit realisiert
Die sorgfältige Planung und Projektvorbereitung, die gezielte Abstimmung hinsichtlich angrenzender Bauvorhaben, Umleitungskonzepten, Bedürfnissen des ÖPNV etc. unter anderem mit der Stadt Magdeburg, vorhandenen Leitungsträgern und den MVB (Magdeburger Verkehrsbetriebe) sowie die Wahl von Material und Bauverfahren führten zu einem erfolgreich abgeschlossenen Sanierungsprojekt. Viele Aspekte des nachhaltigen Bauens sind hier realisiert. Die wichtigsten sind:
ökonomische Aspekte
- deutliche Reduzierung der Tiefbaukosten durch den Einsatz des grabenlosen Relining-Verfahrens (nur punktueller Aushub für Baugruben, Nutzung der vorhandenen Trasse)
- reduzierte Kosten für die Wiederherstellung der Bürgersteigoberfläche
- reduzierte Einschränkung des Verkehrs (Fahrbahn, ÖPNV, Umleitungen)
- minimierte Beeinträchtigung für den Zugang zu den Geschäften
- schnelle und sichere Montage der BLS®-Steckmuffen-Verbindungen
- hohe Einbauproduktivität durch BLS®-Steckmuffen-Verbindungen
- Reduzierung des vorhandenen Rohrdurchmessers (Erhöhung der Fließgeschwindigkeit und Verkürzung der Verweilzeit des Trinkwassers in der Leitung vermeidet hygienische Probleme)
- erneute lange Nutzungsdauer von über 100 Jahren
ökologische Aspekte
- nur punktueller Aushub für Baugruben
- Minimierung notwendiger Sperrungen des Individualverkehrs
- geringe Montagezeiten ermöglichen einen schnellen Baufortschritt
- lebensmittelgerechte Auskleidung
- hohe Diffusionsdichtigkeit sichert das Trinkwasser
- geringer Wartungs- und Instandhaltungsaufwand
- keine Beeinträchtigung des Baumbestandes
technische Aspekte
- längskraftschlüssige Verbindungen erlauben höchste Zugkräfte und sind deshalb für das Langrohr-Relining bestens geeignet
- Rohre und Verbindungen erlauben nennweitenabhängig Betriebsdrücke bis 100 bar
- der Einbau erfolgt ohne Spezialgeräte
Wenn Ende Oktober 2018 alle Dokumentationsunterlagen von A wie Abnahmeprotokoll bis Z für Zugkräfteprotokoll übergeben sind, kann die SWM die Akte Sanierung Halberstädter Straße für die nächsten 120 Jahre auf die Seite legen und den nächsten Abschnitt in Angriff nehmen.
Autoren
Andreas Chladek
SWM Magdeburg
Städtische Werke Magdeburg Gmbh & Co. KG
Am alten Theater 1
D-39104 Magdeburg
Tel.: +49391 587-2317
|
Uwe Hoffmann
Duktus (Wetzlar) GmbH & Co. KG
Sophienstraße 52–54
D-35576 Wetzlar
Tel.: +49(0)172 7221174
|
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