Leitplanke für das Hochwasser
15.03.2023
Kosten und Zeit sparende Fertigteilwände für den Hochwasserschutz in Passau
von Klaus W. König / Deutsches Ingenieurblatt
In Passau wurden zuletzt 2013 weite Flächen mehrere Meter hoch überflutet, darunter auch ein Industriebetrieb. Für dieses Wohn- und Industriegebiet wird nun eine außergewöhnliche Mauer errichtet.
Passau ist aufgrund der Lage an den drei Flüssen eine der schönsten Städte Deutschlands – und zahlt einen hohen Preis dafür. Wenn die Niederschlagsmengen am Alpennordrand in 4 bis 5 Tagen etwa 400 mm betragen – vergleichbar mit den Ereignissen von Juli 1954, August 2002 und Mai/Juni 2013 – dann staut der schnell fließende Inn die langsamere Donau zurück. Die Ilz wiederum wird zeitverzögert durch die ansteigende Donau eingestaut Passau einmauern? 2013 wurde der Ruf nach Hochwasserschutzsystemen laut. Andere Städte entlang der Flüsse hätten längst mobile und feste Schutzeinrichtungen, hieß es in den Medien.
Doch liegt in der Altstadt von Passau das Ufer, die Donaulände, etwa 4,5 Meter über dem normalen Wasserstand bei einem Pegel von 9 Metern. Wenn er wie bei dem extremen Hochwasser 2013 knapp 13 Meter erreicht, müssten die Wände vier Meter hoch sein und hätten die Dimension von Gefängnismauern. Das aber wollten selbst die betroffenen Einheimischen nicht. Schließlich verständigte man sich darauf, Schutzmaßnahmen vor allem auf einzelne Gebäude zu beschränken. Später folgte eine Machbarkeitsstudie für mehrere Uferabschnitte, in der die Umsetzbarkeit von Hochwasserschutzmaßnahmen geprüft wurde. Einer der positiv bewerteten Abschnitte war der Bereich Lindau im Stadtteil Grubweg.
Maßnahme Lindau, HQ 500 und die Kosten
Ganz konsequent vorgegangen ist die Firmenleitung der „ZF Passau Werk 1 Grubweg“ mit dem Schutz ihrer Produktionsstätte. Sie führte ein Gespräch mit dem bayerischen Umweltministerium im Herbst 2014 und vereinbarte, dass ZF den 1. Bauabschnitt einer „Leitplanke“ für das Hochwasser auf 800 m Länge bis zur Kräutlsteinbrücke in Eigeninitiative umsetzt und auch bezahlt. Der Betrieb investierte fünf Millionen Euro und war im Sommer 2017 schon fertig. Planungs- und Bauzeit betrugen jeweils nur ein Jahr. Zugesichert wurde im Gegenzug tionsstätte. Sie führte ein Gespräch mit dem bayerischen Umweltministerium im Herbst 2014 und vereinbarte, dass ZF den 1. Bauabschnitt einer „Leitplanke“ für das Hochwasser auf 800 m Länge bis zur Kräutlsteinbrücke in Eigeninitiative umsetzt und auch bezahlt.
Der Betrieb investierte fünf Millionen Euro und war im Sommer 2017 schon fertig. Planungs- und Bauzeit betrugen jeweils nur ein Jahr. Zugesichert wurde im Gegenzug von der öffentlichen Hand der Hochwasserschutz für das Gelände „Lindau“, in dem neben Wohn- und weiteren Gewerbebauten ebenfalls Betriebsstätten der ZF liegen als 2. Bauabschnitt mit einer Länge von 1.270 m. Dieser ist seit Februar 2020 im Bau und wird voraussichtlich 2023 fertig. Ende 2021 war ungefähr die Hälfte der Ausführung realisiert. Lindau ist einer von 6 Abschnitten im Stadtgebiet von Passau, die als Ergebnis der Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2014 bereits fertiggestellt, noch im Bau oder erst in Planung sind. Die gesamte Hochwasserschutzlinie des „Hochwasserschutz Passau Lindau“ verläuft nach Fertigstellung überwiegend entlang der Bundesstraße B 388 auf mehr als 2 km Länge.
Siegfried Ratzinger, stellvertretender Behördenleiter des WWA Deggendorf, leitet den Hochwasserschutz und vertritt damit vor Ort die Bauherrschaft. Aus der Sicht des Baudirektors ist die Besiedelung der tief gelegenen Uferzonen an Flüssen eine historische Entwicklung. Zunächst lagen die Siedlungen an Flüssen meist auf Hochpunkten.
Die Ausbreitung der Siedlungen in die Tieflagen ist eine Fehlentwicklung, die teilweise durch fehlende hoch liegende Flächen erfolgte, aber vielfach aus der Not geschehen ist, z.B. nach dem 2. Weltkrieg, als die fruchtbaren Flächen zur Nahrungsproduktion benötigt wurden. Auch die Ansiedlung der 2013 überfluteten Maschinenfabrik im Jahr 1943 in der Donauschleife hat mit dem Krieg zu tun: Dort war der damalige Rüstungsbetrieb mit dem Namen „Waldwerke GmbH Passau“ vor Luftangriffen gut geschützt. Die Gefahr von Hochwasser wurde dabei vernachlässigt oder unterschätzt.
Naturgewalt trifft auf technische Raffinesse
„Das später oberirdisch Sichtbare ist nur der kleinere Teil“, erklärt Baurat Stephan Hauke. Er ist der Projektleiter des WWA Deggendorf und ergänzt: „Hochwasserschutz findet vor allem unterirdisch statt“. Tatsächlich schotten entlang der Hochwasserschutzlinie im Abschnitt Lindau unter der fast einen Kilometer langen Mauer Spundwände den Untergrund ab.
Doch bei zwei Teilstrecken musste auf überschnittene Bohrpfähle gewechselt werden, um Erschütterungen beim Einrammen zu vermeiden: Für 50 m entlang eines Gebäudes und für 200 m entlang einer vorhandenen Trinkwasserleitung DN 300 mit 13 bar Druck. Die Bohrpfähle haben im eingebauten Zustand eine Länge zwischen 7,15 und 7,30 m, die Spundwände zwischen 5,65 und 9,00 m. Die Übergänge von Spundwand zu überschnittener Bohrpfahlwand sind mit stichfestem Flüssigboden abgedichtet worden. Der hat einen kf-Wert von 10-8 bis 10-9.
Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, um darauf die über dem Gelände sichtbaren ein bis dreieinhalb Meter hohen Betonfertigteile zu platzieren und zu einer durchgehenden Hochwasserschutzwand zu verbinden. Unterbrochen ist diese Wand dort, wo Straßen, Werkszufahrten und die Eisenbahnlinie queren. An solchen Stellen wird die Lücke in der Wand im Ernstfall mit mobilen Verschlüssen in Form von Aludammbalken redundant (mit zwei Verschlussebenen) geschlossen. Die Rahmen dafür sind vorhanden, alle mobilen Bauteile werden ortsnah gelagert.
Vorteile durch Fertigteile
Die Ausführung aller Maßnahmen des Abschnitts Lindau wurden nach europaweiter öffentlicher Ausschreibung an die Mayerhofer Hoch-, Tief- und Ingenieurbau GmbH aus Simbach am Inn vergeben. Deren Oberbauleiter Dipl.-Ing. (FH) Peter Schober ist stolz auf eine Technik, die seine Firma hier angeboten hat: Die neue Bauweise der Hochwasserschutzwand, mit der das Wasserwirtschaftsamt Deggendorf den Bauablauf optimieren kann. Statt Ortbeton für die 950 Meter lange Wand zu verwenden, greift das Unternehmen auf Fertigteile zu, die vom Subunternehmer Glatthaar Starwalls hergestellt und bei Anforderung der Bauleitung kurzfristig geliefert und montiert werden. Damit konnte die Vollsperrung der B 388 auf das unbedingt notwendige reduziert werden.
Ein weiterer Vorteil ist laut Schober die Qualität der Wand. Nach seiner Erfahrung ist die bei Fertigteilen ausgezeichnet, denn sie haben eine Typenstatik, sind maßhaltig und extrem dicht. Letzteres hängt mit der Produktionsweise von Betonfertigteilen zusammen, bei der im Falle Lindau zur wasserseitigen Oberflächengestaltung auch eine Strukturmatrize verwendet wurde. Um schnell die Schalungsform lösen und damit rationell produzieren zu können, muss das Bauteil einen hohen Grad an Bewehrung und Prüffestigkeit haben. Zugleich ist diese Produktionsart nachhaltig umweltfreundlich, denn das Schalungsmaterial kann bis zu einhundertmal verwendet werden.
„Ein Ingenieurbauwerk ist wie ein maßgeschneiderter Anzug: Dafür wird exakt Maß genommen, sorgfältig überlegt, edles Material verwendet und das Ganze mit handwerklichem Können zusammengesetzt“, sagt Mark Biesalski, Geschäftsführer des Herstellers Glatthaar Starwalls in Schramberg/Schwarzwald.
Er bezeichnet seinen Betrieb gerne als eine „Manufaktur“, die die Flexibilität des Handwerks mit der Automation einer industriellen Fertigung verbinden kann. Gute Referenzen hat sich sein Betrieb in den letzten Jahren vor allem im Straßenbau erworben, mit Hangstützwänden aus Fertigteilen, inklusive Vorsatz aus Naturstein der jeweiligen Region. Die Vorteile der Fertigteilbauweise sind im Straßenbau wie beim Hochwasserschutz dieselben: Die höhere Qualität der Bauteile bei gleichen oder geringeren Investitionskosten, die deutlich kürzere Bauzeit und in der Folge die Entlastung bei Verkehrsteilnehmern und Anwohnern – wenn Baulärm, Baustellenverkehr, Streckensperrung und Umleitung früher, das heißt mit einer Zeitersparnis von 30 - 50 %, beendet sind. Siegfried Ratzinger, Bereichsleiter Hochwasserschutz im WWA Deggendorf, hat in Kenntnis dieser Aspekte von Anfang an die Fertigteilbauweise bei diesem Projekt befürwortet.
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