Qualitätssicherung der Inspektions- und Bestandsdaten von Entwässerungssystemen durch analytische Plausibilitätsprüfungen
14.02.2005
Zur Feststellung und Beurteilung des Istzustandes von Entwässerungssystemen sind nach DIN EN 752-5 [1] alle verfügbaren relevanten Informationen heranzuziehen, da sie die Grundlage für die anschließende Planung aller weiteren Tätigkeiten bilden. Dabei empfiehlt ATV-DVWK-M 143-1 [2], alle diese Informationen bezüglich Aktualität, Plausibilität, Vollständigkeit, Aussagekraft usw. kritisch zu analysieren und zu beurteilen. Im vorliegenden Beitrag wird eine computergestützte Lösung vorgestellt, welche erstmals diese Anforderungen in bester Weise realisiert.
Nach ATV-DVWK-M 143-1 [2] sind sämtliche vorhandenen Informationen bezüglich Aktualität, Plausibilität, Vollständigkeit, Aussagekraft usw. kritisch zu analysieren und zu beurteilen. Vor Übernahme neuer Grunddaten in das Kanalkataster sind auch diese auf Plausibilität zu prüfen. Bei Abweichungen sind die neu ermittelten Grunddaten durch den Betreiber des Entwässerungssystems, ggf. nach einer erneuten Erfassung, zu bestätigen, so das immer die aktuellsten Informationen über das Entwässerungssystem verfügbar sind.
Die Qualität der Inspektion und damit auch der Inspektionsergebnisse wird in vom technischen Standard des eingesetzten Kamerasystems und insbesondere der Qualifikation, Erfahrung und Motivation des Inspekteurs beeinflusst. Darüber hinaus sind die Gründlichkeit der vorbreitenden Reinigung sowie ggf. der witterungs- und tageszeitabhängige Füllstand des Kanals qualitätsbeeinflussend.
In Anbetracht dieser vielen Einflussfaktoren ist es nicht verwunderlich, dass, wie eigene Auswertungen ergeben haben, der Anteil unplausibler oder fehlerhafter Daten 10 % bis 20 % der Inspektionsdatenmenge betragen kann. Nach Untersuchungen an der RWTH Aachen kann diese Fehlerrate sogar 50 % erreichen [9]. Diese Situation wird sich auch in Zukunft kaum verändern, da der Inspekteur und damit der Mensch die Inspektionsqualität maßgeblich beeinflusst und auch bei Ausführung dieser Arbeiten einem erheblichen Kostendruck unterliegt.
Angesichts der dabei anfallenden großen Datenmengen, welche bei Kommunen und Entwässerungsbetrieben in der Regel digitalisiert in Kanaldatenbanken vorliegen, und der Tatsache, dass im Rahmen durchgeführter Erst- und Wiederholungsinspektionen laufend neue hinzukommen, sind die oben aufgeführten und im ATV-DVWK-M143-1 [2] geforderten Analysen und Beurteilungen, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer systemimmanenten Komplexität, mit der gegenwärtig praktizierten manuellen Qualitätskontrolle nicht realisierbar.
Ergebnis jeder optischen Zustandserfassung sind Inspektionsprotokolle, welche für jeden festgestellten Schaden die Art, die Position und gegebenenfalls das Ausmaß beschreiben. Diese Zustandsbeschreibungen [3, 6] liegen bei den Kommunen und Entwässerungsbetrieben digitalisiert vor und werden durch Kürzel- bzw. Kodiersysteme (z.B. nach Arbeitshilfen Abwasser [14], ATV-M 143-2 [7], DIN EN 13508-2 [8] oder hierauf aufbauende, individuell modifizierte bzw. eigene Zustandskürzel) dargestellt. Da in der Bundesrepublik Deutschland bisher kein einheitliches Kürzelsystem vorgeschrieben wurde und bestehende im Laufe der Zeit ergänzt und aktualisiert wurden, sind in einer Kanaldatenbank oft auch unterschiedliche Daten- und Kürzelformate anzutreffen.
Um auch diese wertvollen Inspektionsdaten mit hohem Informationsgehalt bezüglich des Alterungsverhaltens und der Schadensentwicklung der Kanäle insbesondere im Falle von Wiederholungsinspektionen nutzbar machen bzw. der Plausibilitätsprüfung zuführen zu können, müssen diese neu kodiert werden.
Die Plausibilitätsprüfung erfolgt bei StatusPP in drei Stufen:
- Primäre Plausibilitätsprüfung von Inspektionsdaten: Formale Prüfung
- Primäre Plausibilitätsprüfung von Inspektionsdaten: Logische Prüfung
- Sekundäre Plausibilitätsprüfung, d.h. Abgleich von "neuen" und "alten" Inspektionsdaten im Rahmen von Wiederholungsinspektionen.
Bei der primären Plausibilitätsprüfung werden die Inspektionsdaten einer fachlichen Kontrolle mittels einer formalen und logischen Plausibilitätsprüfung unterzogen.
- Formale Plausibilitätsprüfung
Sollte beispielsweise in der in Tabelle 1 dargestellten Zustandsbeschreibung das Kürzel an der 3. Stelle F ("Feuchtigkeit sichtbar") durch D ("verstopft") vertauscht werden, würde dies als formaler Fehler ausgegeben werden.
Hauptkode | Undichtigkeitsangabe | Lage im Profil | num. Zusatz |
RQ | F | O | 5,0 mm |
Tabelle 1: Beispiel für die Zustandsbeschreibung RQFO (Querriss im Scheitel einer Haltung mit sichtbarem Feuchtigkeitseintritt und maximaler Rissbreite von 5 mm) nach [14]
- Logische Plausibilitätsprüfung
Bei der logischen Plausibilitätsprüfung der haltungsspezifischen Angaben werden allgemein übliche Beziehungen kontrolliert. So ist z. B. ein Mauerwerkskanal in der Regel nur in Form eines Ei- oder Maulprofils üblich. Werden in den Kanalnetzdaten anders lautende Angaben gemacht, so ist zumindest dieser Sachverhalt genauer zu prüfen (Tabelle 2). Ergebnisse dieser Prüfung können daher nur Warnungen und nicht eindeutige Fehlerhinweise sein.
Nr. | Beziehung / Kürzel | Warnmeldung | ||
1 | Beziehung zwischen: | Werkstoff | Profilart | Bei Profilart 0: Ein Meuerwerkskanal besitzt in der Regel ein Ei- oder Maulprofil. Bitte überprüfen Sie die Angabe! |
Kürzel: | MA | 1, 2 |
Nr. | Beziehung / Kürzel | Fehlermeldung | ||
1 | Beziehung zwischen: | Hauptkode | Werkstoff | Bei jeder anderen Kombination: Dieser Schaden kann nur in Verbindung mit dem Werkstoff Steinzeug auftreten! |
Kürzel: | BS | STZ | ||
2 | Beziehung zwischen: | Hauptkode | Werkstoff | Bei jeder anderen Kombination: Dieser Schaden kann nur in Verbindung mit dem Werkstoff Mauerwerk auftreten! |
Kürzel: | BK | MA |
Wenn für die untersuchten Haltungen durch Wiederholungsinspektionen mehrere Datensätze vorliegen, kann in der 3. Stufe eine erweiterte Plausibilitätsprüfung stattfinden. Dabei werden zwei oder mehr zeitlich aufeinander folgende Inspektionen einer Haltung miteinander verglichen und zusammengehörende Schadenspaare1 analysiert.
Ziel ist es, Zustandbezeichnungen zu finden, die in einer der beiden Inspektionen nicht vorkommen bzw. Schadensentwicklungen auszuschließen, die vom ingenieurtechnischen Standpunkt aus unmöglich sind. Abbildung 1 zeigt exemplarisch die Gegenüberstellung zweier Haltungsinspektionen.
- Lage in Längsrichtung
- Lage im Profil
- Schadensbeschreibung, gegliedert in
- Hauptkodezugehörigkeit
- Charakterisierung
- Numerischer Zusatz.
Grundvoraussetzung für alle Planungen und Entscheidungen für Betrieb, Unterhalt und Sanierung von Entwässerungssystemen sind aktuelle, plausible, vollständige und aussagekräftige Informationen. Einen besonderen Stellenwert nehmen dabei die im Rahmen der Inspektionen ermittelten Zustandsdaten ein. Sie sind maßgeblich für die Beurteilung des baulichen Istzustandes sowie des Substanzwertes und damit für die für das jeweilige Entwässerungssystem zu wählende, optimierte Instandhaltungsstrategie auf Basis der Analyse des Alterungsverhaltens und der Prognose der Schadensentwicklung.
- den Anteil fehlerbehafteter und unplausibler Daten in den Kanalkatastern bzw. Kanaldatenbanken bei Kommunen und Entwässerungsbetrieben erheblich zu reduzieren, indem die Qualität neu gewonnener Inspektionsdaten überprüft und sichergestellt wird,
- wertvolle "alte" Inspektionsdaten aus früheren Inspektionen nutzbar zu machen,
- die Qualität von Wiederholungsinspektionen durch Vergleich mit "alten" Datenbeständen sofort zu beurteilen.
Plausibilitätsprüfungen im Sinne von StatusPP erfordern ein Datenbanksystem, dass eine ordnungsgemäße Datenverwaltung unterstützt. So ergibt das Rücksichern der geprüften Daten in das Kanalkataster nur dann Sinn, wenn die dort verwendete Software entsprechende Anforderungen an konsistente Datenverwendung unterstützt.
2 Eine Form der Entscheidungsmodellierung ist mit Hilfe von Fuzzy-Systemen möglich. Fuzzy-Logik und Fuzzy-Mengen basieren auf einer Erweiterung klassischer Logik bzw. klassischer Mengenlehre. Während dort Wahrheitswerte bzw. Mengenzugehörigkeiten entweder 0 oder 1 sind, lässt der Fuzzy Ansatz das komplette Intervall [0; 1] zu. Dadurch wird die mathematische Beschreibung einer nicht-exakten, unsicheren Realität möglich. Mit recht einfachen Mitteln können dann komplizierte Abhängigkeiten und Wechselwirkungen innerhalb eines Problems in Form linguistischer "wenn......dann..."-Regeln gefasst werden. Damit werden Fuzzy-Entscheidungssysteme konstruiert, die direkt als Kontrolleinheit fungieren können. Für die Erzeugung eines Fuzzy-Entscheidungssystems und die Formulierung der linguistischen Regeln ist gutes Fachwissen bezüglich des Problems notwendig.
[1] DIN EN 752-5 (1996): Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden - Teil 1: Grundlagen.
[2] Merkblatt ATV-DVWK-M 143-1 (2004): Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden - Teil 1: Grundlagen.
[3] Stein, D. (1998): Instandhaltung von Kanalisationen. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Verlag Ernst & Sohn, Berlin.
[4] Stein, D., Körkemeyer, K. (2003): Entwicklungen bei der TV-Inspektion von Abwasserkanälen. Beitrag zur 36. Essener Tagung vom 26. bis 28. März 2003 in Aachen.
[5] Stein, D., Körkemeyer, K., Brauer, A. (2004): Vergleichende Analyse des neuartigen PANORAMO-Inspektionssystems mit den Standardverfahren zur Inspektion von Abwasserleitungen und kanälen am Beispiel des ARGUS 4-Kamerasystems. Unveröffentlichte Expertise der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum im Auftrag der IBAK Helmut Hunger GmbH & Co. KG, Kiel. Bochum.
[6] Stein, R. (2004): Trends und Entwicklungen der Zustandserfassung. bi umweltbau, H. 3, S. 64-72.
[7] Merkblatt ATV-M 143-2 (1999): Inspektion/ Instandsetzung/ Sanierung/ Erneuer-ung. Teil 2: Optische Inspektion.
[8] DIN EN 13508: Zustand von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden. Teil 1: Allgemeine Anforderungen (2004). Teil 2: Kodiersystem für die optische Inspektion (2003).
[10] Berger, C., Lohaus, J., Wittner, A., Schäfer, R. (2002): Zustand der Kanalisation in Deutschland - Ergebnis der ATV-DVWK-Umfrage 2001. KA - Wasserwirtschaft, Abwasser, Abfall 49, H. 3, S. 302-311.
[11] Arbeitsblatt ATV-A 147-1: Betriebsaufwand für die Kanalisation. Teil 1: Betriebsaufgaben und Häufigkeiten, Entwurf April 2003.
[12] SüwVKan (1995): Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - Nr. 10 vom 10. Februar 1995, "Verordnung zur Selbstüberwachung von Kanalisationen und Einleitungen von Abwasser aus Kanalisationen im Mischsystem und im Trennsystem (Selbstüberwachungsverordnung Kanal - SüwVKan)", vom 16. Januar 1995, S. 64-67.
[13] Stein, D., Ghaderi, S. (2004): Entwicklung eines computerbasierten Systems zur Kontrolle und Beurteilung der Plausibilität von Inspektions- und Bestandsdaten im Rahmen der Auswertung von Wiederholungsinspektionen. Unveröffentlichter Forschungsbericht der "Arbeitsgruppe Leitungsbau und Leitungsinstandhaltung" der Ruhr-Universität Bochum, im Auftrag des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MUNLV NRW). Bochum.
[15] Traeger, D. H. (1993): Einführung in die Fuzzy-Logik. Teubner, Stuttgart, S. 128 f.
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