Vortriebsbegleitende Online-Kontrolle von Bentonitsuspensionen zur Stützung der Ortsbrust bei Rohrvortrieben
18.03.2005
Ein Hauptproblem bei Rohrvortrieben mit Hydro- oder Slurryschilden stellt die kontinuierliche Aufrechterhaltung des aufgebrachten Druckes der Stützflüssigkeit an der Ortsbrust während der Vortriebsarbeiten dar. Im vorliegenden Beitrag wird eine Möglichkeit zur Lösung dieses Problems durch die vortriebsbegleitende Kontrolle und Steuerung der rheologischen Eigenschaften sowie des Druckes der Stützflüssigkeit mit Hilfe des DMT-Online-Viskosimeters vorgestellt.
Bei diesem Verfahren werden von einem Startschacht aus mit Hilfe einer Pressstation und ggf. unter Zuhilfenahme von Zwischenpressstationen vorgefertigte Vortriebsrohre durch den Baugrund bis in einen Zielschacht vorgetrieben (Bild 1). Eine Schildmaschine, die dem ersten Rohr vorgeschaltet ist, ermöglicht den Vortrieb in gerader oder gekrümmter Linienführung. An der Begrenzungsfläche in Vortriebsrichtung, der sogenannten Ortsbrust, wird der anstehende Boden abgebaut und durch den vorgetriebenen Rohrstrang nach über Tage abgefördert. Die Vortriebsrohre stützen dabei dauerhaft den aufgefahrenen Hohlraum und stellen nach Abschluss der Vortriebsarbeiten i.d.R. auch das endgültige Leitungsbauwerk dar.
Durch den Vortrieb, d.h. den Abbau an der Ortsbrust wird der primäre Spannungszustand im Baugrund gestört, so dass es zu Spannungsumlagerungen kommt, deren Auswirkungen durch eine künstliche Stützung der Ortsbrust begrenzt werden müssen. Der Stützdruck muss so bemessen und geregelt werden, dass das unkontrollierte Hineingleiten von Bruchkörpern oder Hineinfließen plastischer Böden oder von Grundwasser in die Abbaukammer unter dem wirkenden Erd- und Wasserdruck, Hebungen und Senkungen der Geländeoberfläche sowie das unkontrollierte Entweichen der flüssigen Stützmittel weitestgehend verhindert werden. Dies wird in der Regel erreicht, wenn der Druck der stützenden Flüssigkeit an jeder beliebigen zu stützenden Stelle etwa 0,1 bar bis 0,3 bar über dem anstehenden Grundwasserdruck liegt [2].
Bei den Hydro- und Slurryschilden werden als Stützflüssigkeiten Wasser, Wasser mit Polymeren o.ä. und in der Regel Bentonitsuspensionen verwendet, deren Dichte beziehungsweise Viskosität in Abhängigkeit von der Durchlässigkeit des anstehenden Baugrunds variieren kann. Das Bohrklein wird mit der Stützflüssigkeit vermischt, durch geeignete, leistungsfähige Pumpen aus dem Sohlenbereich der Abbaukammer abgepumpt und über Abförderleitungen der Separationsanlage zugeführt. Die Separationsanlage trennt das Bohrklein von der Stützflüssigkeit, die dann über Zuförderleitungen wieder zum Stütz- und Fördervorgang in die Abbaukammer der Schildmaschine zurückgeführt wird. Die Anforderungen an den Trennvorgang sind von den Vorgaben für die Deponierbarkeit des separierten Bohrkleins und den aus den geologischen Randbedingungen resultierenden Anforderungen an die die Ortsbrust stützende Suspension abhängig.
Bei Slurry- und Hydroschilden bereitet nach wie vor die Abstimmung der Eigenschaften von Bentonitsuspension, Stützdruck, Vortriebsfortschritt und an der Ortsbrust gelöstem Boden-/Gesteinsvolumen erhebliche Schwierigkeiten. Dies gilt insbesondere bei Inhomogenitäten des Baugrunds und Schichtungen mit stark unterschiedlichen Durchlässigkeiten.
Um die rheologischen und Träger- bzw. Transporteigenschaften der eingesetzten Bentonitsuspensionen zu überprüfen, finden zur Zeit in der Praxis nur bei großen Vortriebsmaßnahmen mehr oder weniger regelmäßige Kontrollen und Probennahmen statt (i.d.R. im Intervall von mehr als 1 h).
Die dabei vor Ort eingesetzten und von Hand durchgeführten Messverfahren beschränken sich auf die Kugelharfe (Bestimmung der Fließgrenze) sowie den Marsh-Trichter (die gemessene Auslaufzeit ? die sogenannte Marsh-Zeit in s ? ist eine Funktion der Wichte, Fließgrenze und der Viskosität der Spülung). Der Nachteil dieser Verfahren ist, dass sie immer nur mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung Rückschlüsse auf die tatsächlichen Verhältnisse an der Ortsbrust zulassen, beschrieben durch die Veränderung der Spülungseigenschaften relativ zu ihrem Ausgangswert. Auf etwaige auftauchende Probleme bei der Stützung der Ortsbrust während des Vortriebes, z.B. bei signifikanter Änderung der geologischen oder hydrogeologischen Verhältnisse kann somit nicht rechtzeitig, beispielsweise durch Anpassung des Stütz- und/oder Erhöhung des Andrucks des Bohrkopfes, Zugabe von Bentonit oder Wasser in den Stützflüssigkeitskreislauf zur Anpassung der Suspensionseigenschaften (Dichte, Fließgrenze, Viskosität etc.) reagiert werden. Diese Reaktionen bleiben in der Praxis allein der Erfahrung und Fertigkeit des Schildfahrers überlassen.
Die dabei verfolgten Hauptziele waren:
- Erarbeitung eines methodischen Ansatzes für die Prävention von Instabilitäten der flüssigkeitsgestützten Ortsbrust
- Verbesserung der Wirtschaftlichkeit von Vortrieben durch Qualitätssicherung (Erhöhung der Vortriebssicherheit), Optimierung von Bentoniteinsatz, Separationstechnologie etc.
- Untersuchung der Möglichkeiten der Automatisierung der kontinuierlichen, vortriebsbegleitenden Kontrolle der Bentonitsuspension.
Um zukünftig die Vortriebssicherheit - insbesondere in innerstädtischen bzw. bebauten Bereichen - zu erhöhen, ist es im Hinblick auf die jeweiligen, ggf. wechselnden geologischen und hydrogeologischen Randbedingungen während des Rohrvortriebes erforderlich, praxisnahe mess- und verfahrenstechnische Erkenntnisse zur vortriebsbegleitenden Anpassung und Optimierung wichtiger Vortriebsparameter, insbesondere der rheologischen Eigenschaften der Stützflüssigkeit sowie des Stützdruckes zu erlangen.
Die verschiedenen in DIN V 4126-100 [6] beschriebenen Messverfahren zur "Prüfung der mechanischen Eigenschaften stützender Flüssigkeiten", zu denen u.a. die Kugelharfe und der Marsh-Trichter zählen, erfüllen die o.g. Anforderungen (insbesondere die automatische, kontinuierliche Messung innerhalb des Förderkreislaufs) bei Rohrvortrieben mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust nicht oder nur teilweise.
Aus diesem Grund wurde als Alternative das von der Deutschen Montan Technologie GmbH (DMT), Geschäftsfeld Bergbau Service, Essen entwickelte, sogenannte DMT-Online-Viskosimeter (kurz OV genannt) eingesetzt [7] und bezüglich seiner Eignung für den vorliegenden Anwendungsfall in umfangreichen Laborversuchen untersucht [8, 9].
Das DMT-Online-Viskosimeter dient insbesondere zur Ermittlung der Fließeigenschaften von Stoffen, die ein ausgeprägtes nicht-NewtonŽsches Verhalten aufweisen. Es besteht u.a. aus den Komponenten (Bild 3) [10]:
- Förderpumpe mit diversen Rohrleitungen
- Massenstrommessgerät
- Druckverlustmessstrecke mit einem Differenzdruckaufnehmer
- Elektronische Auswerteeinheit PC (nicht in Bild 3)
Zur Messung wird die Suspension bei laminarer Strömung durch die Druckverlustmessstrecke (Rohrleitung oder Schlauch) gefördert. Dabei werden die Parameter Strömungsgeschwindigkeit, Differenzdruck und Dichte kontinuierlich erfasst und regelmäßig abgespeichert.
Um die nicht-Newton'schen Fließeigenschaften zu ermitteln, wird diese Messung nacheinander bei verschiedenen Strömungsgeschwindigkeiten wiederholt. Die einzelnen Strömungsgeschwindigkeiten und Messzeiten sind dabei frei parametrisierbar.
Das Ergebnis einer vollständigen Messung zeigt Bild 5. Im mittleren Fenster erkennt man parallele, in Form einer Treppenkurve ansteigende Messwerte für die Strömungsgeschwindigkeit (rot) und den dabei gemessenen Differenzdruck (grün) in einem Zeitintervall von ca. 50 s bis 250 s. Aus der Treppenkurve werden mit Hilfe eines speziellen Rechenprogramms durch Druckverlustintegrale eines beliebigen nicht-Newton'schen Fließgesetzes und mit Hilfe numerischer Fehlerquadratsummenminimierungen die Parameter des Fließgesetzes approximativ berechnet. Das Ergebnis dieser Approximationsrechnung sind u.a. die Darstellungen der Fließkurve (Schubspannung t als Funktion des Schergefälles g), die Viskositätskurve (scheinbare Viskosität hs als Funktion des Schergefälles) und die Fließgesetzparameter (hier Herschel-Bulkley-Fließgesetz mit den Parametern Fließgrenze t0, Konsistenz/dynamische Viskosität k oder hB und der Strukturexponent n), dargestellt im Bild 6. Das Bestimmtheitsmaß BM quantifiziert dabei die Approximationsqualität und somit die Brauchbarkeit des Fließgesetzes, um das untersuchte Materialverhalten zu beschreiben.
Ziel des Versuchsprogramms war der experimentelle Nachweis, mit Hilfe des DMT-Online-Viskosimeters verschiedenartige Boden-Bentonit-Gemische (Variation von Bentonitsorte, Bodenart, Feststoffkonzentration bzw. Wassergehalt) zu messen und für jedes Gemisch charakteristische Kurven bezüglich Fließgrenze und/oder Viskosität erstellen zu können und damit die Bodenarten an Hand eines sogenannten "geotechnischen Fingerabdrucks" zu identifizieren.
Die Untersuchungen wurden in zwei Versuchsständen durchgeführt. Beim 1. Versuchsstand (Bild 7) wurde im kleineren, idealisierten Maßstab der Suspensionskreislauf einer Schildmaschine mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust simuliert.
Insgesamt wurden 5 Bodenarten (Bild 8), Feststoffgehalte von 0 bis 400 kg/m? (jeweils in 50 kg-Schritten) sowie 2 Bentonitsorten (HTX und HTX-Spezial der Fa. Ibeco) mit jeweils 2 Bentonitkonzentrationen (30 und 50 g/l Wasser) untersucht. Die Suspensionen wurde nach Herstellerangaben angemischt und dem Versuchskreislauf zugeführt.
Ergänzend zu den o.a. Versuchsreihen wurden die jeweiligen Suspensionen auch mit den Messverfahren Kugelharfe und Marsh-Trichter geprüft, um festzustellen, inwieweit die OV-Ergebnisse reproduzierbar sind, d.h. Korrelationen mit den entsprechenden Messwerten der klassischen Verfahren hergestellt werden können.
Die durchgeführten Laboruntersuchungen lieferten den Beweis, dass sich die mit dem OV gemessenen Fließgrenzen- bzw. "Viskositäts"-Kurven in Abhängigkeit von Bentonitsorte, Bentonitkonzentration, Feststoffgehalt sowie Bodenart eindeutig reproduzieren lassen, d.h. jede Versuchssuspension wies einen für sie charakteristischen Fließgrenzen- bzw. "Viskositäts"-Verlauf ("geotechnischer Fingerabdruck") auf (Bild 9).
Im Bild 10 sind beispielhaft die Ergebnisse der OV- und Kugelharfen-Fließgrenzen für die Bentonitsorte Ibeco HTX 50 g/l dargestellt. Für die mit der Kugelharfe ermittelten Werte wurde aus Genauigkeitsgründen jeweils ein sogenanntes Kugelharfenfließgrenzenintervall ermittelt, d.h. es wurde neben der kritischen Fließgrenze, bestimmt durch die größte auf der Suspensionsoberfläche aufliegende ("schwimmende") Kugel, auch die Fließgrenzen für die nächstgrößere bzw. kleinere Kugel angegeben. Bei Betrachtung der Kurvenverläufe fällt auf, dass die OV- und Kugelharfen-Fließgrenzenverläufe tendenziell gleich sind, sich jedoch bezüglich ihrer Größe unterscheiden. Die mit dem OV festgestellten und errechneten Werte sind erheblich geringer, als die mit der Kugelharfe ermittelten, lassen sich jedoch mit Hilfe einer errechneten Korrelationsfunktion auf das Niveau der Kugelharfenwerte anheben. Für die Versuche mit dem Bentonit HT-X und einer Bentonitkonzentration von 50 g/l betrug die Korrelationsfunktion z.B. f(χn) = 4,5χn ± 2.
Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse eines im Auftrag der Schauenburg Stiftung, Mülheim von der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum sowie der Deutschen Montan Technologie GmbH, Geschäftsfeld Bergbau Service, Essen durchgeführten Forschungsvorhabens [7] vor. Zielstellung war, die Eignung des DMT-Online-Viskosimeters zur vortriebsbegleitenden, computergestützten, kontinuierlichen Online-Kontrolle der rheologischen Eigenschaften von Stützflüssigkeiten auf Basis von Bentonitsuspensionen nachzuweisen, um zukünftig Vortriebe mit Hydro- und Slurryschilden insbesondere in innerstädtischen bzw. bebauten Bereichen sicherer und möglichst schadensfrei realisieren zu können.
Aus den Versuchsergebnissen kann abgeleitet werden, dass sich diese Zielstellungen mit dem DMT-Online-Viskosimeter realisieren lassen.
Die umfangeichen Laboruntersuchungen lieferten den Beweis, dass sich die mit dem DMT-Online-Viskosimeter online gemessenen Fließgrenzenkurven der unterschiedlichen Stützflüssigkeitsgemische in Abhängigkeit von Bentonitsorte, Bentonitkonzentration, Feststoffgehalt sowie Bodenart eindeutig reproduzieren lassen, d.h. jede Versuchssuspension wies eine für sie charakteristische Fließkurve auf, welche darüber hinaus mit den Fließgrenzenergebnissen der Kugelharfe korreliert.
Der Nachweis der Tauglichkeit in der Praxis ist durch In-situ-Untersuchungen zu erbringen.
[1] Stein, D.: Der begehbare Leitungsgang. Verlag Ernst & Sohn, Berlin 2002.
[2] Stein, D.: Grabenloser Leitungsbau. Verlag Ernst & Sohn, Berlin 2003.
[3] Gemeinsame Empfehlung des Deutschen Ausschusses für unterirdisches Bauen e.V., der Österreichischen Gesellschaft für Geomechanik, der Forschungsgesellschaft für das Verkehrs- und Straßenwesen und der Fachgruppe für Untertagebau des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins: Empfehlungen zur Auswahl und Bewertung von Tunnelvortriebsmaschinen. Taschenbuch für den Tunnelbau 1998 (22. Auflage), S. 257?321. Verlag Glückauf GmbH, Essen 1997.
[4] Suhm, W., Kollmann, B.: Slurry versus EPB bei Micromaschinen ? Maschinensysteme im Vergleich. bi-umweltbau (2000), H. 3, S. 56?62.
[5] Rizkallah, V.: Begehbare und nichtbegehbare Rohrvortriebe. Institut für Bauschadensforschung e.V., Heft 9 der Informationsreihe, Hannover 1993.
[6] DIN V 4126-100: Schlitzwände, Berechnung nach dem Konzept mit Teilsicherheitsbeiwerten (04.1996).
[7] Körkemeyer, K., Brauer, A: Verfahren zur Optimierung und Kontrolle des Bentoniteinsatzes bei Vortriebsmaßnahmen. Unveröffentlichter Abschlussbericht der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum zum Forschungsvorhaben, gefördert von der Schauenburg Stiftung, Mülheim. Bochum, Dezember 2002.
[8] Deutsche Montan Technologie GmbH, Mines & More Division, Essen (Hrsg.): On-line Meßsysteme. DMT-Informationsbroschüre, Stand 11/1998.
[9] Schneider, M., Dück, J., Neeße, T., Pier, J., Tiefel, H., Donhauser, F.: Online-Qualitätskontrolle der Bohrspülung. Tunnel (2003), H. 5, S. 28?37.
[10] Deutsche Montan Technologie GmbH, Mines & More Division, Essen (Hrsg.): DMT-Online-Viskosimeter ? Bedienungs- und Funktionsbeschreibung (ohne Jahr).
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